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Aktuelle Meldung



03.06.2005 - Kategorie: LD online, Litauen

LD ONLINE: Kretinga hinter dem Eisernen Vorhang




von Arunas Å ulskis

 

Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 2/2005,

Sondernummer Lettland/Litauen



LD 2/2005

Weihnachten in Kretinga mit Pfarrer Darius Petkunas

Am 7. Juli 2002 wurde die Aufmerksamkeit der vorbeieilenden Einwohner der Stadt Kretinga durch eine Menschenmenge abgelenkt, die an einem späten Nachmittag in Richtung des Gotteshauses eilte. Viele waren positiv überrascht, daß die Gemeinde in Kretinga ihr 200. Jubiläum gefeiert hat. Genau am 7. Juli 1802 hat der zu der Zeit über Litauen herrschende Zar von Rußland, Alexander I., den Wunsch der Lutheraner von Kretinga erfüllt und bewilligt, in Kretinga eine evangelisch-lutherische Gemeinde zu gründen und eine Kirche zu bauen.

 

Aus diesem Anlaß kamen Bischof Jonas Kalvanas jr. und auch andere Pfarrer aus Klaipeda, Nida und Rusne, um die Gemeinde zu besuchen und auch zusammen Gottesdienst zu feiern.

 

Die »Geburt« der Gemeinde in Kretinga war schwer. Auf diesem Territorium lebten schon seit der Reformation Lutheraner, aber in der Zeit der Gegenreformation waren ihre Rechte völlig eingeschränkt. Bei dem Versuch, dieses Land vor dem von Preußen sich ausbreitenden Luthertum zu schützen, wurde im Jahr 1605 ein Bernardinerkloster gegründet, das später von den Franziskanern übernommen wurde. In jener Zeit war es verboten, Lutheraner zu sich ins Haus zu laden oder nur einem von ihnen eine Unterkunft zu gewähren. Besonders hart davon betroffen waren alle Lehrer und Prediger. Die Lutheraner verloren in der Zeit viele ihrer Rechte und wurden mit hohen Steuern belegt, die an den Orden abzuführen waren. Die Reformation entzündete aber eine Flamme in den Herzen, und der evangelische Glaube ist nie erloschen. Trotz der vielen Schwierigkeiten, sind ganze Dörfer – Mišuciai, Kiauleikiai, Rudaiciai – zu kleinen lutherischen Inseln in dem in der Gegenreformation zum Katholizismus bekehrten Nieder-Litauen, geworden. Die Gläubigen haben in ihren Häusern gebetet und sind für die Kasualien in die umgebenden Gemeinden gefahren.

 

Dieses »illegale« Leben der Lutheraner dauerte mehr als 200 Jahre, bis 1802 die Gläubigen vier ihrer Vertreter zu Zar Alexander sandten. Mikas Kasputis, Antanas Penelis, Jurgis Tarvydas, Mikas Bruzdeilinas erreichten es, daß am 7. Juli 1802 der Zar den Wunsch erfüllte, sie von der Steuer gegenüber dem Kloster befreite, ihnen erlaubte, eine Gemeinde zu gründen und eine Kirche zu bauen. Außerdem schenkte er ihnen für den Bau der Kirche 1700 Baumstämme aus dem Forst Rucava.

 

Die Gemeinde in Kretinga wurde zu einer der tragenden Säulen der ganzen Kirche in der Nachkriegszeit und während der ganzen Sowjetzeit. Hier fand 1955 die erste Nachkriegssynode statt, die die Kirche zu einem Überlebenskampf in der schwierigen Zeit der Sowjetherrschaft vereinigt hat. In den Jahren der Besetzung vereinte die Gemeinde in Kretinga nicht nur die Lutheraner aus der Umgebung, sondern auch aus Kretingale, Gargždai Palanga und auch einen großen Teil der Gläubigen aus Klaipeda.

 

Der langjährige Gemeindekirchenratsvorsitzende und das Konsistoriumsmitglied Jonas Enzinas erzählt, daß trotz unterschiedlichster Störungen der sowjetischen Regierung und der Staatssicherheit, die Gemeindemitglieder alle Hindernisse überwunden und aus eigenen Kräften ihre Kirche renoviert haben, was sehr viel Mühe gekostet hatte, und es war nicht möglich, Hilfe von den Glaubensbrüdern und Glaubensschwestern jenseits des »Eisernen Vorhangs« zu empfangen.

 

Der Besuch der Gottesdienste war zwar nicht verboten, aber es gab eine sehr aktive antireligiöse Propaganda, sowohl in den Schulen als auch im ganzen öffentlichen Leben. Menschen, die ihre Religiosität ohne Heimlichkeit bekannt hatten, wurden getadelt und ausgelacht. Aktive Glaubensbrüder wurden verfolgt, vertrieben und ermordet. Nach dem Tod Josef Stalins wurden die repressiven Maßnahmen schwächer, sind aber weiterhin bis zur Unabhängigkeit des Staates Litauen durchgeführt worden. Es war den Pfarrern z.B. streng verboten, den Kindern Religionsunterricht zu erteilen. Deshalb wurde damals die Familie zur wichtigsten Hüterin christlicher Werte.

 

1968 wurde die Evangelisch-Lutherische Kirche in Litauen in den Lutherischen Weltbund aufgenommen. Das war für die unterdrückte Kirche ein außerordentliches Ereignis. Einer derjenigen, die das Dokument unterschrieben haben, war der schon genannte Jonas Enzinas. Er kann sich sehr gut daran erinnern, daß nicht alle den Mut hatten, ihre Unterschrift unter den Antrag zu setzen, weil sie Angst vor möglichen Repressalien hatten. Die Mehrheit aber hat unterschrieben, und anschließend wurde der Antrag heimlich ins Ausland gebracht.

 

Das ist die Geschichte unserer Eltern und Großeltern. Für die Zukunft vertrauen wir auf die Hilfe Gottes.

 

 

Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 2/2005. Wenn Sie die weiteren Artikel über Geschichte und Gegenwart der lutherischen Kirchen in Litauen und Lettland lesen möchten, bestellen Sie den »Lutherischen Dienst« kostenlos.