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Aktuelle Meldung



20.11.2009 -

Georg Kretschmar †



Am 19. November 2009 verstarb in München Prof. Dr. Georg Kretschmar, früherer Erzbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland und anderen Staaten (ELKRAS).

Der Martin-Luther-Bund war Erzbischof Prof. Dr. Kretschmar durch vielfältigste Kontakte als Partner beim Aufbau und bei der Förderung der ELKRAS eng verbunden. So hat Georg Kretschmar über Jahre hin die Reihe »Beiträge zur Geschichte der evangelisch-lutherischen Kirche Russlands« des Martin-Luther-Verlages herausgegeben. Besonders dankbar sind wir, dass mit dem Band 6 dieser Reihe ein besonderes Dokument der Würdigung des Verstorbenen vorgelegt wurde: »Der lutherisch-orthodoxe Dialog – aktuelle Standpunkte« – »Лютеранско-православный диалог – актуальная точка зрения«, Erlangen 2008.



Prof. Dr. Georg Kretschmar – Foto: Archiv MLB

Der Martin-Luther-Bund reiht sich in den Kreis aller Schüler, Freunde, Gemeindeglieder und Amtsschwestern und Amtsbrüder ein und dankt Gott, dass er Georg Kretschmar in seinem Leben geleitet und bewahrt und ihm die Möglichkeit zu segensreichem Wirken für viele Menschen und auf unterschiedlichsten Gebieten gegeben hat.

 

Georg Friedrich Karl Kretschmar wurde am 31. August 1925 im schlesischen Landeshut geboren. Er stammte aus einer schlesische Pastorenfamilie. Sein Abitur bestand er 1943 in Hirschberg. Kurze Zeit nach dem Abitur wurde er Soldat. Fronterfahrungen hatte er in der Ukraine und in der Schlacht um Berlin. Während des Feldzuges in der Ukraine gehörte der Besuch eines orthodoxen Gottesdienstes zu den Ereignissen, die sein weiteres Leben prägen und ihn zum Bemühen um den Dialog mit der großen östlichen Schwesterkirche anregen sollten. Auf dem Rückzug verwundet, erlebte Georg Kretschmar das Kriegsende am 8. Mai 1945 am Unterlauf der Elbe bei Boitzenburg. Er konnte später seine Geschwister bei den Großeltern mütterlicherseits in Mühlhausen in Thüringen abholen und mit ihnen zu den Eltern nach Württemberg gehen.

 

Zum Herbstsemester 1945 nahm er sein Studium der evangelischen Theologie in Tübingen auf. Zu seinen theologischen Lehrern gehörte in Tübingen der Neutestamentler Prof. Dr. Otto Michel und dann in Heidelberg Prof. Dr. Hans Freiherr von Campenhausen, Kirchenhistoriker und Patristiker, und der Systematiker Prof. Dr. Edmund Schlink. Sein Fakultätsexamen legte er 1948 in Heidelberg ab. Hans Freiherr v. Campenhausen nahm ihn als Doktoranden an. Er hat ein Semester in Oxford zugebracht und von der anglikanischen Kirche tiefere Eindrücke für sein weiteres Leben mitgenommen. Dann holte ihn Prof. Dr. Otto Michel als seinen Assistenten für Neues Testament nach Tübingen zurück. Dort habilitierte er nach Abschluss der Promotion in Heidelberg 1950. Das zweite theologische Examen legte er bei der Württembergischen Kirche ab und machte dort sein Vikariat. Am 3. Januar 1953 wurde er in Tübingen ordiniert. 1955 kam er zunächst als Lehrstuhlvertreter an die neugegründete Evangelisch-Theologische Fakultät nach Hamburg. 1956 wurde er jüngster Ordinarius in Deutschland. Seine Fächer waren Neues Testament und Kirchengeschichte.

 

Georg Kretschmar war inzwischen verheiratet. Der Ehe sind vier Kinder entsprossen. Nach dem frühen Tod seiner Frau hat er noch einmal geheiratet. Aus der neuen Ehe sind drei Töchter hervorgegangen.

 

1968 wurde Georg Kretschmar zum Aufbau der neuen Evangelisch-Theologischen Fakultät in München eingeladen.

 

Seine Arbeitsschwerpunkte erweiterten sich allmählich auf Patristik und Grenzgebiete zwischen Neuem Testament und früher Kirchengeschichte, Reformationsgeschichte, kirchliche Zeitgeschichte, Liturgiewissenschaft und ökumenische Theologie.

 

Durch Vermittlung von Edmund Schlink gehörte er von Anfang an zu dem Kreis der deutschen evangelischen Theologen, der im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland den theologischen Dialog mit der Russischen Orthodoxen Kirche, Patriarchat Moskau, führte. Georg Kretschmar nahm an zwölf Treffen zwischen 1959 und 1991 teil. Als der Ökumenische Patriarch anregte, auch ein Gespräch aller Orthodoxer mit allen lutherischen Kirchen zu führen, beauftragte der Lutherische Weltbund (LWB) Georg Kretschmar mit der Vorbereitung dieser Dialogserie, die nach Vorbereitungstreffen ihren ersten offiziellen Termin 1981 hatte. Anfangs übernahm er auch den lutherischen Vorsitz. Von 1999 bis 2004 hatte er erneut den lutherischen Vorsitz inne.

 

An Georg Kretschmar wurden zahlreiche Ehrendoktorwürden verliehen, so die der Universitäten Tübingen und Kolozsvár/Klausenburg/Cluj (Rumänien), des Katholischen Institutes in Paris (Frankreich) und des Trinity Seminary in Columbus/Ohio (USA). Gleichfalls war er ausländisches Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Helsinki (Finnland). Darüber hinaus erhielt er eine Reihe von Auszeichnungen, wie das Bundesverdienstkreuz in verschiedenen Klassen und zuletzt 2003 das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, im Jahr 2004 den Friedrich-Joseph-Haas-Preis des Deutsch-Russischen Forums und 2005 durch den Patriarchen Alexej II. den Fürst-Daniel-Orden 2. Klasse der Russischen Orthodoxen Kirche.

 

Aus seiner reichen publizistischen Tätigkeit, die über 150 Titel hervorbrachte, wären neben vielen Aufsätzen – seit 1992 besonders zur Geschichte und Lage der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland – die Mitherausgabe von Sammelbänden und die Mitarbeit an der »Geschichte des Christentums« sowie sein Werk »Das bischöfliche Amt« zu nennen.

 

Im Juli 1989 traf Georg Kretschmar in Neuendettelsau mit Harald KalninÅ¡ zusammen, der inzwischen Bischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Sowjetunion (DELKSU) geworden war und ihn einlud, zu ihm nach Rīga zu kommen, um eine theologische Ausbildung für diese Kirche aufzubauen. Diese Aufgabe erwies sich als so prägend, dass Georg Kretschmar 1990 seine vorzeitige Emeritierung beim bayrischen Kultusministerium beantragte. Er war nun mit Bischof KalninÅ¡ bei der Neusammlung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Sowjetunion und nach deren Zerfall in den Ländern der früheren Sowjetunion engagiert. Schon 1992 wurde er zum Stellvertreter des Bischofs ernannt.

 

Die erste Generalsynode wählte ihn 1994 zum Nachfolger von Harald KalninÅ¡. Den Sitz der Kirchenleitung hatte er bereits 1993 nach St. Petersburg verlegt. In der Aufbauzeit widmete er sich besonders der Bildung kirchlicher Strukturen und Einrichtungen, aber auch der Novellierung der Kirchenverfassung von 1924, der Ãœberarbeitung der Agende und der Erarbeitung eines neuen Gesangbuches.

 

Auf der zweiten Sitzung der II. Generalsynode im April 2005 wurde auf Vorschlag des nun bald 80-jährigen Georg Kretschmar der damalige Bischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine, Dr. Edmund Ratz, zu seinem Nachfolger gewählt.

 

Georg Kretschmar lebte seitdem im Wohnstift Augustinum in München und ist dort in den Vormittagsstunden des 19. November 2009 vom Herrn über Leben und Tod heimgeholt worden.