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02.06.2006 - Kategorie: ELKRAS, LD online

LD ONLINE: »Vergeßt uns im Osten nicht!«




Die Partnerschaft zwischen den Kirchen in Kasachstan und Mecklenburg-Vorpommern

 

von Hans-Wilhelm Kasch

 

Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 2/2006, Sondernummer »Kasachstan/Kirgistan«



LD 2/2006 Sondernummer »Kasachstan/Kirgistan«

Kinder und Jugendliche sind der Kirche in Kasachstan besonders wichtig: hier der Kinderchor der Gemeinde in Kostanai.

Das Denkmal mit dem zerbrochenen roten Stern steht in Malinowka, einem früheren kommunistischen Musterdorf. Hier stand in der Stalinzeit ein Lager für Frauen von »Volksverrätern« – Fotos: Stahl

»Das war die Reise meines Lebens, die mich am stärksten beeindruckt hat.« So blickte ein Pastor unserer Landeskirche 2003 auf seine erste Reise zu einer Synodentagung in Kasachstan zurück. Es zeigt, daß die Partnerschaft zwischen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Republik Kasachstan keine Einbahnstraße ist, sondern auch uns in Deutschland bereichert.

 

Seit 1972 gibt es Kontakte zwischen den evangelischen Gemeinden in Kasachstan und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs. Diese Kontakte wurden durch Oberpfarrer Harald KalninÅ¡ (den späteren Bischof) in Riga vermittelt. Bei einem Besuch des damaligen Landesbischofs der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs, Dr. Heinrich Rathke, in Riga waren auch zwei Brüder aus Kasachstan angereist und baten ihn: »Vergeßt uns im Osten nicht!« Diese Bitte hat Bischof Rathke ernst genommen. Sie war ihm immer wieder Antrieb für viele Reisen und unentwegte Bemühungen um die lutherischen Christen auch schon zu Zeiten der Sowjetunion. Mehrfach begleitete Dr. Rathke Harald KalninÅ¡ auf seinen Reisen durch Sibirien, Kasachstan und Mittelasien und bezog frühzeitig den Lutherischen Weltbund in die Kontakte mit ein.

 

Nach Mittelasien und Sibirien waren die deutschstämmigen Lutheraner zumeist während des Zweiten Weltkrieges durch Deportationen aus dem Wolgagebiet gekommen. Viele waren in Arbeitslagern umgekommen. Über Jahrzehnte waren deutsche Sprache und christliches Leben (sogar der Besitz der Bibel und häusliches Gebet) streng verboten. Trotzdem gibt es heute hinter dem Ural viele lutherische Gemeinden. Es zählt zu den Wundern unserer Zeit, daß sich lutherische Gemeinden gehalten haben und daß unter schwierigsten Bedingungen und oft ohne hauptamtliche Pastoren eine erfolgreiche Gemeindearbeit geleistet wurde.

 

Durch die Reisen von Kalninš und Rathke wurden zunächst Gemeinden ge- und besucht. Besonders zu Gemeinden in Karaganda, Alma-Ata (heute Almaty), Zelinograd (heute Astana) und Taldy Kurgan gab es intensive Kontakte, die auch durch Briefverkehr, Beschaffung von geistlicher Literatur und z.T. humanitäre Hilfe gefestigt wurden. Ein »Helfer- und Spenderkreis« in Mecklenburg begleitete die sich intensivierenden Kontakte und unterstützte die Arbeit mit Spenden.
Mit dem Zerfall der Sowjetunion und dem Entstehen der selbständigen Republik Kasachstan ergaben sich größere Freiräume für die Gemeinden. Gleichzeitig tauchten aber verstärkt neue Probleme und Herausforderungen auf. Die Auswanderung nach Deutschland wurde zum Massenexodus. Gemeinden verloren über Nacht ihre Leiter. Kleine Gemeinden verschwanden ganz von der Landkarte. Strukturen für eine Kirche mußten aufgebaut werden. Nach der jahrelangen Vereinzelung der Gemeinden galt es nun, durch Synodentagungen einen gemeinsamen Weg für die Gemeinden zu finden. Dr. Rathke hat als Bischöflicher Visitator die Sammlung der Gemeinden vorangetrieben und wichtige Weichenstellungen für die Zukunft der lutherischen Kirche in Kasachstan eingeleitet. 1993 fand die erste Synode in Almaty statt.

 

Die Kontakte nach Kasachstan wurden durch gegenseitige Besuchsreisen intensiviert. Neben dem Kampf mit den widrigen Umständen der harten Umstellung auf die Marktwirtschaft mit all den Verwerfungen, Ungerechtigkeiten und ungewohnten Herausforderungen galt es, die Gemeinden zu stärken, angemessene Strukturen für die Kirche zu finden und neue Wege zu beschreiten. Dafür waren und sind gegenseitige Besuche wichtig und hilfreich, denn nur wer gut Bescheid weiß kann konkret helfen und beten!

 

Nach dem Zerfall der Sowjetunion ist die wirtschaftliche Not trotz erster Ansätze von Besserung nach wie vor groß. Die Wege zu den Gemeinden sind weit und beschwerlich. Steppe, Wüste und Hochgebirge sind zu bewältigen. Von der Hauptstadt Astana zur Gemeinde in Ust-Kamenogorsk im Osten des Landes fährt man 26 Stunden mit dem Bus! Die Delegierten zu den Synoden sind bis zu 48 Stunden unterwegs.

 

Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs entschied, eine Partnerschaft aufzubauen. Verbunden damit war auch die finanzielle Unterstützung der Kirche. Obwohl die Ausreise nach Deutschland immer noch erstrebenswert erscheint, wollen oder müssen aber viele dort bleiben. Außerdem finden Menschen anderer Nationalitäten Zugang zu den lutherischen Gemeinden, wo sich diese der russischen Sprache öffneten und nicht nur deutsche Kultur pflegen. Der neue Bischof Juri Nowgorodow sagt: »Aus einer mono-ethnischen Kirche sind wir eine multi-ethnische Kirche geworden.«

 

Um den großen Bedarf an ausgebildeten Mitarbeitern nach dem Weggang der »gestandenen Brüder« zu decken, wurde seit 1996 in Astana (früher Zelinograd, dann Akmola), der neuen Hauptstadt Kasachstans, ein Kirchen- und Ausbildungszentrum eingerichtet. Innerhalb der Partnerschaft versuchen wir, durch finanzielle Mittel und durch Mitarbeit bei den Ausbildungseinheiten die Qualifizierung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu befördern. Am »Lutherischen Geistlichen Zentrum« werden Kurzkurse für Prediger und für Mitarbeiterinnen in der Kinder- und Jugendarbeit, der Gemeindediakonie und der Verwaltung durchgeführt. Daneben gibt es eine dreijährige theologische Ausbildung. Die ersten zwei Ausbildungskurse sind abgeschlossen, und die meisten Absolventen haben ihren Dienst in den Gemeinden aufgenommen.

 

Gut qualifizierte Mitarbeiterinnen erstellen Arbeitsmaterialien in russischer Sprache, die den jungen Mitarbeitern für ihre Arbeit in den Gemeinden helfen. Durch die Auswanderung sterben noch Gemeinden aus, aber dafür gibt es in einigen Zentren auch wachsende Gemeinden. Immer wieder werden in den Weiten des Landes Gemeinden entdeckt, oder es führen engagierte Mitarbeiter Menschen zur Gemeinde zusammen. Seit April 1999 arbeitet ein Pastor aus Mecklenburg mit seiner Familie in Kasachstan. Ein Pastorenehepaar im Ruhestand war 2002/03 für ein Jahr im Land, um beim Aufbau von Gemeinden zu helfen und als Mentor für einen jungen, unerfahrenen Mitarbeiter zu arbeiten. Auch so können wir einander im Glauben stärken und voneinander lernen.

 

Ein anderer Schwerpunkt der Partnerschaft hat sich in der Kinder- und Jugendarbeit entwickelt. Eine Mitarbeiterin aus Kasachstan konnte an der Universität in Rostock ein Aufbaustudium für Religionspädagogik absolvieren und arbeitet nun als Koordinatorin der Kinder- und Jugendarbeit in ihrer Kirche. 2001 fanden zum ersten Mal an verschiedenen Orten Kinderfreizeiten statt, die nach wie vor sehr gerne besucht werden. Die Kinder erleben in schöner Umgebung christliche Gemeinschaft mit viel Spaß und Spiel und natürlich verschiedene Formen der Beschäftigung mit der Bibel und mit Themen des täglichen Lebens. Wegen der großen Nachfrage wurde inzwischen eine Altersbegrenzung eingeführt. Nun werden ebenfalls sehr begehrte Freizeiten für Jugendliche angeboten.

 

So klein und schwach die evangelischen Gemeinden auch sind, so helfen sie doch bei den Nöten in ihrer Umgebung. Die Notwendigkeit von vielfältigen diakonischen Aktivitäten wächst rapide. Auch auf diesem Gebiet versuchen wir, die Partnerkirche zu unterstützen. Suppenküchen und Notapotheken konnten in verschiedenen Orten aufgebaut werden. Fehlende notwendige Medikamente konnten wir liefern, denn Heime für Alte, Behinderte oder Kinder bekommen fast keine öffentlichen Mittel. Die Arbeit mit Alkoholkranken und Obdachlosen ist ebenfalls eine Herausforderung, der sich die Gemeinden vor Ort stellen. Kinder sind durch die Notstände besonders betroffen, u.a. durch Strahlenschäden im Atombombentestgebiet Semipalatinsk. In der Suppenküche in der Stadt Kokschetau werden täglich mehr als fünfzig Menschen mit einer kostenlosen warmen Mahlzeit versorgt. Ein Essen kostet inklusive aller Nebenkosten 1,20 EUR. Die beiden dort arbeitenden Frauen verdienen aber nur 23 EUR  im Monat. Unsere finanzielle Unterstützung zeigt über die materielle Hilfe hinaus, daß die Menschen nicht vergessen sind.

 

Alle finanzielle Unterstützung ist nur möglich, weil die Partnerschaft in der Landeskirche gut verankert ist und weil sich Einzelspender und Gemeinden, auch über Mecklenburg hinaus, engagieren. So konnte inzwischen die »Nazarenusstiftung« gegründet werden, die auch in Zukunft nachhaltig die Arbeit in Kasachstan absichern soll. Dabei ist es gelungen, in Kasachstan das Bewußtsein für die Verantwortung für die benötigten Haushaltsmittel zu wecken und zu schärfen. Gerade durch ihre verantwortungsvolle sozial-diakonische Arbeit hat sich die Kirche innerhalb von Staat und Gesellschaft eine gute Stellung erworben. Obwohl sie nur eine kleine Kirche ist, wird sie in der politischen Öffentlichkeit beachtet und respektiert.

 

Alle, die sich auf den Weg machen, die Partnerschaft mit Leben zu füllen, sind in der Regel, so wie der eingangs zitierte Pastor, selbst bereichert worden. Die besondere Spiritualität, der Einsatz, unter äußerlich schwierigen Bedingungen in der Kirche zu arbeiten, die Herzlichkeit und Gastfreundschaft und nicht zuletzt die Dankbarkeit für alle Begleitung und Unterstützung lassen uns immer wieder bereichert und manchmal beschämt zurückkehren. Bei aller Unterschiedlichkeit in Tradition, Frömmigkeit, theologischen Erkenntnissen und kulturellem Hintergrund hat sich ein vertrauensvolles Miteinander entwickelt, das sich zum Nutzen für beide Seiten erwiesen hat. Wir sind dankbar, daß wir »zu Gehilfen der Freude« (2. Kor. 1,24) werden konnten und selbst soviel Freude erfahren haben.

 

Hans-Wilhelm Kasch ist Landespastor für Ökumene im Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs, Schwerin.

 

Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 2/2006, Sondernummer Kasachstan/Kirgistan. Wenn Sie die weiteren Artikel mit vielen Informationen über die »Evangelisch-Lutherische Kirche in der Republik Kasachstan« und die »Evangelisch-Lutherische Kirche in Kirgistan« lesen möchten, bestellen Sie den »Lutherischen Dienst« kostenlos.