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Aktuelle Meldung



07.05.2013 - Kategorie: LD online, Diasporagabe, Polen

LD online: Das geht uns etwas an!




Wie sich die Gemeinde Sorkwity um die Schwachen und die Menschen am Rande der Gesellschaft kümmert und warum sich in einer kleinen masurischen Gemeinde regelmäßig die Jugend der Welt trifft

 

von Ks. Krzysztof Mutschmann, Gemeindepfarrer in Sorkwity/Sorquitten

 

Auszug aus dem Lutherischen Dienst 2/2013, Sondernummer »Polen«



Lutherischer Dienst 2/2013, Sondernummer »Polen«

Die wunderschöne kleine Kirche in Rasząg/Raschung. – Bild: EAKiP

Stolz auf Erreichtes: die »Fahrradmechaniker« mit ihren reparierten Rädern. – Bild: EAKiP

Die Evangelisch-Augsburgische Gemeinde zu Sorkwity umfasst das Dorf Sorkwity und drei weitere Filialgemeinden in Rybno/Rieben (12 km entfernt), Biskupiec/Bischofsburg (12 km) und Rasząg/Raschung (24 km). Zu den gewöhnlichen Amtshandlungen des Pfarrers zählen die Sonntags- und Festtagsgottesdienste, Religions- und Konfirmationsunterricht, unterschiedliche Gemeindebegegnungen und Chorproben. Es wird auch eine intensive Diakoniearbeit geleistet. Während der Ferienzeit konzentriert sich die Gemeinde auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in den polnischen und internationalen Jugendcamps, die im Gemeindezentrum durchgeführt werden.

Die Gemeinde in Sorkwity versucht – wie alle anderen evangelischen Gemeinden – dem Wort aus dem Markusevangelium, Kapitel 10, Vers 45, zu folgen, wo es heißt: »Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.« So versucht sie, durch einen Dienst in Nächstenliebe aktiv auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen. In dieser Weise ist die Mission der Kirche untrennbar mit der Diakonie verbunden. Dies versteht die Gemeinde als eine ihrer wichtigsten Aufgaben neben der Verkündigung des Wortes Gottes und den seelsorgerlichen Aktivitäten.

Im Jahr 1999 hat Sorkwity eine Sozialstation ins Leben gerufen, die mit ihrer Arbeit alle Bewohner der Gemeinde Sorkwity ansprechen will. Der Ort gehört zum Kreis Mrągowo/Sensburg und wird auf einer Fläche von 184 km2 von 4800 Einwohnern bewohnt. Die Gemeindeaktivitäten richten sich an alle Bedürftigen, unabhängig von der Konfessionszugehörigkeit. Das Ziel ist, die Menschen dort zu erreichen, wo sie die nicht-kirchlichen Hilfsinstitutionen nicht erreichen oder sich nicht intensiv genug mit ihnen befassen können.

Die Diakoniestation verwirklicht ihre Ziele, indem sie sich auf vier Bereiche konzentriert: die Arbeit mit Senioren und Behinderten, mit Kindern und Jugendlichen, mit Arbeitslosen und mit Alkoholsüchtigen.

 

Dienst für Senioren und Behinderte

In unserem Land und auch in unserer Gemeinde gibt es viele Hilfsinstitutionen. Ihre Mitarbeiter sorgen dafür, dass finanzielle Unterstützung an die vielen Bedürftigen verteilt wird. Bei ihrer Arbeit gehen sie davon aus, dass ein alter oder behinderter Mensch nur ein paar Groschen Unterstützung braucht, um glücklich zu sein. Wir beobachten aber, dass das viel zu wenig ist. Natürlich ist finanzielle Hilfe wichtig, aber wir finden, dass ein ehrliches Interesse am Menschen und die uneigennützige praktische Hilfe viel bedeutsamer sind. Zwei Frauen in unserer Gemeinde (Kinga Januszko und Zuzanna Świniarska) helfen z.B. ehrenamtlich einigen Senioren. Sie übernehmen dabei ganz praktische Dienste in den jeweiligen Haushalten, etwa beim Putzen und Kochen, bei der medizinischen Grundversorgung, beim Einkaufen, und sie helfen bei Behördengängen. Die Diakoniestation betreut zur Zeit in dieser Weise etwa dreißig hilfsbedürftige Menschen. Wir verleihen auch kostenlos Rehageräte und Hilfsmittel, die uns aus dem Ausland geschenkt oder die dort erworben wurden, z.B. Rollstühle, Rollatoren, Pflegebetten. Der Reha-Geräteverleih ist nicht lokal beschränkt, wir leihen diese Hilfsmittel bis nach Gdańsk/Danzig oder Warszawa/Warschau aus.

 

Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen

Um den Erwartungen der Dorfjugend entgegenzukommen, hat die Sozialstation in Kooperation mit der Gesellschaft für Familienhilfe »Synapsa« eine Tagesstätte eingerichtet. Die Dorfkinder haben nicht so viele Möglichkeiten wie die Kinder in der Stadt, deshalb dürfen sie unter den Augen spezialisierter und ausgesuchter Fachkräfte dort mit Vergnügen und Spaß ihre Hausaufgaben machen. Dabei haben sie auch Zugang zu Psychologen, Logopäden und Pädagogen.

Soweit es möglich war, wurden diese Treffen immer mit einer gemeinsamen Mahlzeit abgeschlossen.

 

Hilfe für Arbeitslose

Die Arbeitslosenquote in Sorkwity liegt über 22 Prozent. Das liegt vor allem am Konkurs der kommunistischen landwirtschaftlichen Betriebe, in denen die Mehrzahl der Einwohner früher gearbeitet hat. In dieser Region, in der es aus ökologischen Gründen keine Industrie gibt, ist sehr schwer eine Arbeitsstelle zu bekommen. Für die meisten ist es unmöglich.

Das lokale Arbeitsamt bemüht sich sehr, diese Probleme zu lösen. Wir haben aber festgestellt, dass wir an dieser Stelle hilfreich sein können: Vor allem in der Touristensaison brauchen die Betriebe zuverlässige Angestellte.

Die Arbeitgeber wissen, dass wir die Menschen hier sehr gut kennen. Deshalb werden wir oft um Rat und Empfehlung gebeten. Zu unserer großen Freude konnten wir auf diese Weise bereits für fast zwanzig Menschen Arbeitsplätze vermitteln. Meistens waren es nur Einstellungen für eine Saison, aber alle waren damit sehr zufrieden.

 

Alkoholprobleme

Ein extremes Problem im Dorf und auf dem Land ist die Alkoholsucht. Wir beobachten besonders bei jüngeren Menschen, die keine Arbeitsperspektiven haben, dass sie einen Großteil ihrer Zeit damit verbringen, Alkohol zu trinken. Sobald sich Pessimismus und Resignation breit machen, entstehen schwere Alkoholprobleme. Als Folge davon geraten sehr viele Familien in tiefste Armut.

Die Diakoniestation wagte deshalb einen Versuch, Arbeit ohne Gehalt anzubieten. Unsere Freunde aus dem Ausland schenkten uns dafür über hundert gebrauchte Fahrräder, die einfachste oder einfache Reparaturen benötigten. Wir haben Menschen mit einem Überfluss an Freizeit gesucht (also in erster Linie Süchtige und Arbeitslose) und sie überzeugt, ihre freie Zeit sinnvoll einzusetzen – und sie fingen an, die Fahrräder zu reparieren! Diese Fahrräder wurden anschließend an andere bedürftige Menschen weiterverschenkt. Das war eine erste Etappe und eine perfekte Einführung zu einer sozio-therapeutischen Arbeit. Diese umfangreiche Arbeit mit süchtigen Menschen erfordert allerdings auch große Einsatzbereitschaft. Wir rechnen damit und hoffen, dass wir uns in diesen Bemühungen immer weiter verbessern können und sich auch in Zukunft Menschen finden, die diese Form der therapeutischen Arbeit für unterstützenswert halten.

 

Jugendcamps im Gemeindehaus

Seit 1975 werden im Gemeindehaus in Sorkwity Jugendcamps veranstaltet. Früher war das Gebäude ein Postamt und danach ein Pflegeheim. In den Ferien wurden regelmäßig vier vierzehntägige Camps veranstaltet, die sehr beliebt waren. Meistens nahmen 80 bis 120 Personen daran teil. Dafür gab es mehrere Gründe. Die Jugendlichen aus den Diasporagemeinden wollten andere evangelische Jugendliche kennen lernen, es gab keine Möglichkeiten, ins Ausland zu fahren, und die Teilnahme an nicht-kirchlichen Camps war für die Familien zu teuer. Das Haus mit den veralteten und zu kleinen Sanitäreinrichtungen und der winzigen Küche konnte eigentlich von Anfang an die äußeren Grundbedingungen für Freizeiten mit so vielen Teilnehmern nicht erfüllen. Die Situation wurde nach dem Eintritt Polens in die EU 2004 noch komplizierter und besonders schwierig, als viele deutsche und osteuropäische Gruppen anfingen, sich für Sorkwity als Treffpunkt für Freizeiten zu interessieren. Es gab zehn Jahre lang Camps für 160 Kinder aus dem Kaliningrader Gebiet und Camps für die »Kinder Tschernobyls« aus Weißrussland. Weitere Gruppen kamen u.a. aus den Niederlanden, den USA, aus Litauen. Das Zentrum wurde allmählich zu einer Einrichtung, in der sich Jugendliche mit verschiedenen Sprachen und Lebenshintergründen übernational in Freundschaft begegnen konnten. Vielleicht liegt dies nicht nur am Wort Gottes, sondern auch an den traumatischen Erfahrungen Masurens?

Unsere kleine Gemeinde jedenfalls konnte es sich nicht leisten, auch nur die kleinsten Renovierungsarbeiten in Angriff zu nehmen. Erst das Engagement von Landesbischof Jerzy Samiec und der Direktorin des Konsistoriums, Ewa Śliwka, hat uns Hoffnung auf Veränderung gemacht. Dank großzügiger Hilfe aus dem Ausland wird eines der Gebäude seit September 2012 intensiv renoviert. Mit großer Wahrscheinlichkeit dürfen wir damit rechnen, dass diese Arbeit im Mai 2013 beendet sein wird. Im Sommer 2013 werden sich die Jugendlichen in Räumen erholen können, die modernen Standards entsprechen. Dabei haben wir nicht nur an die Sommerferien gedacht. Unser großer Wunsch ist, dass das Haus mindestens sechs Monate im Jahr arbeiten kann und für Seminare und Tagungen offensteht. In der Diasporasituation unserer polnischen Kirche ist so ein Ort der Begegnung von außerordentlich großer Bedeutung. Wir glauben, dass es möglich sein wird, entsprechende Mittel zu beantragen, damit auch das zweite Haus renoviert werden kann. So werden wir mit Gottes Hilfe und Segen im ganzen Zentrum unseren Dienst leisten können.

Aktuell ist uns der Abschluss der Renovierungsarbeiten im Bereich des Jugendzentrums am wichtigsten. Diese Aufgabe hat nicht nur für uns, sondern auch für die ganze Kirche eine große Bedeutung. Ein Ort für internationale Jugendbegegnungen ist wichtig für die Integration evangelischer Jugend über Grenzen hinweg. Auch in Bezug auf die Diakonie und ihre möglichen Handlungsfelder gibt es noch viele Träume. Die Verwirklichung erfordert aber einen hohen finanziellen Aufwand und noch viel Zeit.

Als Anerkennung und Motivation für unser Wirken wurde unserer Mitarbeiterin Kinga Januszko im Oktober 2012 der »Barmherzige Samariter«, eine Auszeichnung der polnischen Diakonie, für ihre ehrenamtliche Arbeit verliehen.

Nicht alle unsere Vorhaben lassen sich verwirklichen, aber wir bleiben optimistisch und glauben, dass es rund um uns herum Menschen gibt, die unsere Initiativen mit wohlwollenden Augen betrachten.

 

Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 2/2013, Sondernummer »Polen«. Wenn Sie die weiteren Artikel mit weiteren Informationen über Land und Leute und die Evangelisch-Augsburgische Kirche in Polen lesen möchten, bestellen Sie den » Lutherischen Dienst kostenlos.